cantors homepage

Menü überspringen

Startseite > Stadt > Kultur > Krise - [-1-]

Kunst und Geld

Kultur in Zeiten der Krise

Den Städten geht das Geld aus und den Künsten der Atem

von Joachim Güntner

Frankfurt am Main, die Goethestadt, Gastgeber der grössten Buchmesse, ist zum Schauplatz einer kulturpolitischen Krise geworden. Mit dem Niedergang seiner städtischen Kulturszene ist Frankfurt kein Einzelfall, aber ein exemplarischer.

Ähnliches könnte München passieren, der lange vom Glück verwöhnten bayrischen Landeshauptstadt, die vor Wochen bekennen musste, sie sei pleite. Oder Berlin, dessen Sparpläne die «Süddeutsche Zeitung» fürchten lassen, das Armenhaus an der Spree «werde seine Kultureinrichtungen nächstens zur Massenschlachtung freigeben». Überall dasselbe Bild: Deutschlands Städte darben, und die Künste darben mit. Die Gewerbesteuer, die den Kommunen zusteht, tröpfelt nur noch. In Frankfurt sank ihr Aufkommen um 38 Prozent. Die grossen Banken, deren Türme die Skyline «Mainhattans» prägen, brauchen nach der jüngsten Reform keine Gewerbesteuer mehr abzuführen. Der Wirtschaft in Frankfurt geht es gut, die Arbeitslosigkeit liegt weit unter dem Bundesdurchschnitt. Die öffentliche Hand aber muss mit einem Etat zurechtkommen, den der hessische Innenminister nur unter strengsten Auflagen genehmigt hat. Beschränkung auf die städtischen «Kernaufgaben» verlangt sein Erlass vom 9. September, und über die kulturellen Aufwendungen heisst es, sie müssten «deutlich reduziert werden». Auch dann, urteilte der Minister, sei «ein hochwertiges kulturelles Angebot gewährleistet».

Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass Frankfurt sein weltberühmtes Ballett und dessen meritenreichen Chef William Forsythe verlieren würde. Der amerikanische Choreograph, seit 18 Jahren in der Stadt, wollte seinen noch bis 2004 laufenden Vertrag nicht verlängern. Zusammen mit dem Ballett wird das Theater am Turm (TAT) verschwinden. Frankfurts Magistrat hat beschlossen, den ungeliebten Realisten im Bockenheimer Depot - das TAT der letzten Jahre steht eher für politische denn künstlerische Avantgarde, das Experimentelle findet auf der Bühne des Mousonturms statt - «mit sofortiger Wirkung» eine Million Euro zu entziehen. In zwei Jahren soll der Etat dann ganz gestrichen werden.

Brutaler Sparzwang

Weniger radikal will Kulturdezernent Hans- Bernhard Nordhoff mit den Museen verfahren. Das Völkerkundemuseum muss auf eine seit langem versprochene neue Ausstellungshalle verzichten; das Historische, das Archäologische und das Jüdische Museum sowie das Institut für Stadtgeschichte sollen, der Synergien halber, zusammen einen «Kooperationsverbund Frankfurter Geschichte» bilden. Aus der Finanzierung der Städelschule, einer allerersten Adresse für Studenten der bildenden Kunst, will sich die Stadt zurückziehen. Hier sei das Land Hessen in die Pflicht zu nehmen, heisst es in Nordhoffs Ressort: Schliesslich sei auch der Unterhalt von Universitäten keine kommunale Angelegenheit. Mehr als 500 Organisationen und Einrichtungen hängen am städtischen Kulturetat, und der Sparzwang ist brutal. Verschont bleibt das Budget für den Spielbetrieb der Oper, was den Argwohn weckte, an entscheidender Stelle sässen Traditionalisten, welche die Hochkultur auf Kosten von Avantgarde und Stadtteilkultur retten wollten. Tatsächlich hat sich Oberbürgermeisterin Petra Roth ausnehmend stark für die Oper eingesetzt. Über die Gründe wird noch zu reden sein.

Das Theater am Turm ist von jeher, eigentlich schon seit seinen Anfängen unter Peymann- Handke-Beuys, spätestens seit seiner progressiven Wende mit Christoph Vitali und Tom Stromberg, erst recht aber unter dem Regieteam Tom Kühnel und Robert Schuster, ein ungeliebtes Kind. «Kaum ein Jahr vergeht, ohne dass die Frankfurter das Gefühl haben, sie müssten das TAT zumachen», sagt der Dramaturg Bernd Stegemann. Stets liess sich die Gefahr abwenden, doch diesmal ist es anders. Der erklärte politische Wille zur Schliessung verbindet sich mit dem Geldmangel zu einer vernichtenden Kraft, ausserdem fehlt dem Theater heute die Lobby, die es einst besass. Eine Mobilisierung der Öffentlichkeit scheint aussichtslos. Von einer trüben Situation, in welcher einem nur bleibe, das Arbeitsethos hochzuhalten («und das geht hier im TAT noch ganz gut»), berichtet Produktionsleiter Matthias Frense. Perspektiven gibt es keine, Illusionen macht sich niemand. Tränen hat es gleichwohl gegeben, als der TAT-Mannschaft an einer Betriebsversammlung aufging, dass sie sich von ihrer gewohnt familiären Form der Zusammenarbeit für immer verabschieden muss. «Das Ende wird sehr schnell kommen. Ich bin skeptisch, ob der Spielbetrieb überhaupt bis 2004 weiterläuft», sagt Thomas Runge, technischer Leiter und einer der alten Hasen am TAT.

Ökonomisch betrachtet, wirkt die Schliessung wenig überzeugend. Nur drei fest angestellte Schauspieler hat das Theater am Turm, flexibel agiert man mit Gastschauspielern, der Etat ist vergleichsweise klein. Unter den städtischen Tankern ist es das wendige Motorschiff, im Grunde ein Zukunftsmodell. Hätte die Politik, statt dirigistisch zu verfahren, nicht besser allen Bühnen ein übergreifendes Sparziel vorgeben sollen, und die Intendanten hätten sich über den Weg dahin dann untereinander abstimmen müssen, in einem Akt der Solidarität und mit einem Rest von künstlerischer Autonomie?

Wenig Solidarität

Aber so laufen die Dinge in Frankfurt nicht. Obgleich das Ideal des «herrschaftsfreien Diskurses» in dieser Stadt erfunden worden ist, reicht es bis heute nicht einmal zu einer zivilisierten Kommunikation zwischen Administration und Kulturbetrieb. Und innerhalb dieses Betriebs sieht es kaum besser aus: Solidarität zwischen Intendanten ist Mangelware, jeder bangt um seine Pfründen. Forsythe, der auch Intendant des TAT ist, habe vom Kulturdezernenten einen Wink bekommen, wenn er das TAT abwickle, könne er das Ballett behalten, erzählt Bernd Stegemann. Und das Ende vom Lied? Nun schliessen beide, und mit dem Ballett verschwindet gleich eine ganze Sparte.

Auch Max Hollein, seit knapp einem Jahr Direktor der Kunsthalle Schirn, betrachtet es als «Hauptproblem» der Stadt Frankfurt, wie sie ihre Etatdiskussionen führe: «unglaublich medial und öffentlich» und so, dass die Betroffenen den Kürzungsbescheid erst aus der Zeitung erfahren. Geredet werde immer nur hinterher, nach dem öffentlichen Aufschrei. Aus politischem Kalkül und im Kleinkampf zwischen den Parteien werde die Kultur zum Spielball, urteilt er. Auf die üblichen Politikerprügel indessen verzichtet Hollein, und in die wohlfeile Klage der örtlichen Feuilletons - Frankfurt sei «kulturell erloschen», die Stadt «massakriere» die Kultur - stimmt er nicht ein. Der Mann hat es gut, denn er kann auf vertragliche Etat-Zusagen pochen, die ihm gemacht wurden, damit er vom Guggenheim-Museum in New York an den Main wechselt. Man kann ihm aber auch schlecht widersprechen, wenn er von der kulturell dicht bestückten Frankfurter Innenstadt schwärmt, wo sich Museen und andere Einrichtungen wie Perlen an der Schnur reihen.

Für sein eigenes Haus ist Hollein optimistisch: Glücklicherweise sei die Schirn eine GmbH, was die Planung von Ausstellungen erleichtere, allein schon weil Ausschreibungen nicht den langen Behördenweg nebst amtsjuristischer Prüfung nehmen müssten. «Niveau, Programm, Besucherzahlen gehen steil nach oben», sagt er im Bemühen, nur ja nicht mit einem Schliessungskandidaten wie dem TAT verwechselt zu werden. Aber als GmbH hat die Schirn auch nicht mit der Tarifschraube des öffentlichen Dienstes zu kämpfen. Diese Schraube aus fixen und alljährlich wachsenden Kosten zermalmt die Spielräume für die eigentliche künstlerische Aktivität, für die Ausstellungen und Ankäufe der Museen, die Aufführungen der Theater. Da liegt das zentrale und im Übrigen bundesweite Problem.

Aderlass auf hohem Niveau

Wie schlecht geht es Frankfurts Kultur wirklich? «Es ist auch ein Jammern auf hohem Niveau», bescheinigt Hans-Bernhard Nordhoff jenen, die ihn des Banausentums zeihen. Die Zahlen geben ihm vorderhand Recht. Lässt man die Kommunen beiseite, die zugleich Bundesländer sind - wie Berlin oder Hamburg -, so hat Frankfurt mit 260 Millionen Euro den höchsten Kulturetat aller deutschen Städte, das Doppelte dessen, was München ausgibt, und dreimal so viel wie Köln. Doch welch einen Aderlass hat Frankfurt erfahren: Opernchef Sylvain Cambreling resignierte, Kaspar König verliess die Städelschule, Jean-Christophe Ammann das Museum für moderne Kunst und Christoph Vitali die Schirn. Alles Schuld des Kulturdezernenten? Sicher nicht. Allerdings muss ein solcher neben haushälterischen Fähigkeiten auch Kenntnis und Engagement für die Künste mitbringen, und Nordhoff hat, was beides angeht, keine gute Presse. Im Klein-Klein der Lokalpolitik zählt für die Ortsverbände der Parteien «Stallgeruch» mehr als Kompetenz, und der Dezernent muss sich nachsagen lassen, eher mit der Nase als mit dem Verstand für sein Amt ausgesucht worden zu sein.

Frankfurt war immer stolz auf seine Eigenständigkeit, auf den Bürgersinn seiner Kaufleute, die lieber selbst als Stifter und Mäzene auftraten, als nach dem Landesherrn zu rufen. Die Universität verdankt ihre Existenz einer Stiftung, das Städel ebenfalls. Mittlerweile zeigt dieser Stolz seine Kehrseite. «Angeschmiert» sei Frankfurt, sagt Oberbürgermeisterin Petra Roth über ihre auf sich selbst gestellte Stadt. Täglich kommen ein Drittel mehr Menschen aus dem Umland in die Metropole, als Frankfurt Einwohner hat. Diese Besucher haben hier ihren Arbeitsplatz oder gehen ihren Vergnügen nach. Sie nutzen die städtische Infrastruktur, geniessen das kulturelle Angebot. Die Kosten trägt Frankfurt fast allein. Kleinere Städte wie das beschauliche Wiesbaden, der Regierungssitz, wie Darmstadt oder Kassel haben ein Staatstheater, aus Mitteln des Landes Hessen finanziert. Das gibt es in Frankfurt nicht. In der Verteilung der Lasten zwischen der Mainmetropole und dem Land herrscht ein Ungleichgewicht, das dringend der Korrektur bedarf.

Wenn Petra Roth sich für die Oper in die Bresche wirft, so muss man das auch als Lockspeise unter wirtschaftlichen Aspekten sehen: Viele der Banker und internationalen Manager, die in Frankfurt nur auf Zeit Station machen, sprechen die Landessprache nicht. Oper und Konzert bieten Kulturgenuss auch ohne Deutschkenntnisse. Und die Oberbürgermeisterin Roth hält es für Frankfurts Pflicht, der internationalen Wirtschaftselite kulturell etwas zu bieten. Viele Firmen revanchieren sich, indem sie als Sponsoren wirken - indessen steckt in diesem Verhältnis ein Problem: Wer nur kurzfristig in einer Stadt lebt, fördert auch nur kurzfristige Projekte, Ausstellungen oder Konzerte, an denen er partizipieren kann, «Events» mit einem Wort. Institutionen und Strukturen aber, die Basis für langfristiges Gedeihen, fördert er nicht.

(Neue Zürcher Zeitung vom 28. September 2002)
© Neue Zürcher Zeitung AG

URL: http://www.k-faktor.com/frankfurt/kulturkrise.htm | Letzte Änderung: 18.03.2005

cantors homepage - © Jürgen Klein 2002-2008 - Frankfurt am Main