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Frankfurter Studentenprotest

Die Wurzeln der "Provos" - Die 68er beeinflussten die Bewegungen der 70er

Von Sabine Demm

Häuserkampf, Sponti-Szene, Betriebsprojektgruppen und Revolutionärer Kampf - Bewegungen, die derzeit im Prozess gegen den Ex-Terroristen Hans-Joachim Klein und der Diskussion um die Vergangenheit von Bundesaußenminister Joschka Fischer (Bündnis 90 / Die Grünen) die Medien beschäftigen. Die teilweise militanten Bewegungen der 70er Jahre nahmen Argumente und Methoden der Studentenrevolte von 1967-69 auf. Frankfurt war neben Berlin das Zentrum der 68er-Bewegung. Diese Zeit politisierte auch Fischer, der sich an Demonstrationen beteiligte - auch als Mitglied der »Putztruppe«.

»Ich gebe Ihnen fünf Minuten Zeit. Entscheiden Sie, ob meine Vorlesung stattfinden soll oder nicht.« Für Professor Theodor W. Adorno ist es an diesem 22. April 1969 nicht das erste Mal, dass Studenten seine Vorlesung »Einführung in das dialektische Denken« mit Zwischenrufen stören - er ist auch nicht der einzige Hochschullehrer, dem das passiert. In dem Moment, als Adorno seinen Satz beendet hat, treten drei langhaarige, mit Lederjacken bekleidete Studentinnen auf ihn zu. Sie umringen ihn, versuchen ihn zu küssen und reißen sich die Jacken auf: darunter kommen nichts als ihre Brüste zum Vorschein. Das ist mehr als eine Kampfansage an den 65-Jährigen. Die Initiatoren wollen ihren Lehrer demütigen. So etwas Ungeheuerliches ist Adorno bisher noch nie passiert. Geschockt greift der Sozialphilosoph seine Aktentasche, hält sie sich schützend vors Gesicht und läuft aus dem Hörsaal. Hinter sich vernimmt er noch das Johlen und Gelächter einiger Studenten.

Es war die letzte Vorlesung, die Adorno gehalten hat, wenige Wochen später stirbt er an einem Herzinfarkt. Die revoltierenden Studenten müssen sich danach den Vorwurf gefallen lassen, Adorno ins Grab gebracht zu haben.

Die »Busen-Aktion« gegen Adorno ist Ausdruck einer neuen Entwicklung, wie sie typisch für die 70er Jahre werden sollte. Aktionistische Kleingruppen halten das Ruder in der Hand, die breite Mehrheit der Studenten steht nicht mehr - wie es noch zu Hochzeiten der Bewegung der Fall war - hinter den Aktionen. Und: Die Revolution frisst ihre Eltern. Die Vertreter der »Frankfurter Schule« um Adorno lieferten (unfreiwillig) die theoretische Rechtfertigung für den Aufstand der Studenten. Der in den USA lehrende Herbert Marcuse formulierte die Theorie der »revolutionären Gegengewalt«, wonach unterdrückte Minderheiten ein Naturrecht auf außergesetzlichen Widerstand besäßen.

Der Ort des studentischen Aufbegehrens sind Straßen und Plätze. Ab 1966 protestieren die Studenten in Berlin, ein Jahr später auch in Frankfurt gegen den Krieg der USA in Vietnam und gegen die geplante Notstandsgesetzgebung in Deutschland. Nachdem ein Polizist den 26-jährigen Studenten Benno Ohnesorg bei einer Demonstration in Berlin tötet, springt der revolutionäre Funke auf fast alle Universitäten über. Der Studentenbewegung gelingt es, Massen zu mobilisieren.

Die schlimmsten Straßenschlachten mit der Polizei liefern sich die Frankfurter Studenten an Ostern 1968 - ausgelöst durch das Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke am Gründonnerstag, 11. April, in Berlin. Am Karfreitag ziehen über 2000 Studenten mit wehenden Fahnen und Transparenten in die Mainzer Landstraße. Dort druckt die Societäts-Druckerei eine Teil-Auflage der Bild-Zeitung. Deren Auslieferung wollen die Protestierenden verhindern. Sie machen die Hetzkampagne des Springer-Blattes für den Anschlag auf Dutschke verantwortlich. Die Studenten verbarrikadieren die Eingänge der Druckerei mit Mülltonnen und Brettern. Die Bild-Zentrale in Hamburg verlangt von der Polizei, die Auslieferung ihres Blattes durchzusetzen. Die Ordnungshüter versuchen, die Demonstranten mit Schlagstöcken zurückzutreiben. Diese wehren sich, indem sie Flaschen und Steine werfen. Mehrmals versuchen Verlagsfahrzeuge vergeblich, die Druckerei zu verlassen. Auch den Wasserwerfern der Polizei gelingt es nicht, ihnen den Weg durch die Menge »freizuspritzen«. Die Straßenschlacht dauert bis in die frühen Morgenstunden. Während es am Karsamstag ruhig bleibt, kommt es am Ostermontag erneut zu schweren Ausschreitungen. An dem Oster-Wochenende werden über 50 Menschen zum Teil schwer verletzt.

Im Jahr 1968 kommt Frankfurt nicht mehr zur Ruhe. In der Nacht zum 4. April 1968 explodieren auf der Zeil in den Kaufhäusern »M. Schneider« und »Kaufhof« zwei Brandsätze, die hohen Sachschaden anrichten. Bereits einen Tag später verhaftet die Polizei die 27-jährige Studentin Gudrun Ensslin, den 26-jährigen Studenten Thorwald Proll und den 24-jährigen Journalisten Andreas Baader, alle aus Berlin, sowie den 25-jährigen Münchner Schauspieler Horst Söhnlein. Baader und Ensslin hielten später das Land als RAF-Terroristen in Atem.

Gudrun Ensslin sagt während des Prozesses am 31. Oktober 1968 am Frankfurter Landgericht aus, dass sie keine Menschen gefährden, sondern nur Sachen beschädigen wollten: »Wir taten es aus Protest gegen die Gleichgültigkeit, mit der die Menschen dem Völkermord in Vietnam zusehen.« Bei dem Prozess ruft der französische Studentenführer Daniel Cohn-Bendit, der aus Frankreich ausgewiesen worden ist, aus dem Publikum: »Sie gehören zu uns.«

Im Mai 1968 treibt die geplante Verabschiedung der Notstandsgesetze die Studenten auf die Barrikaden. Aus Protest bestreiken Studenten unter Führung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) die Frankfurter Universität und verriegeln ab dem 15. Mai die Eingänge mit Streikposten. Die Universität bekommt einen neuen Namen: »Karl-Marx-Universität«. Das Studentenhaus heißt nun »Che Guevara-Haus«. Jeden Tag hält ein Streikkomitee, dem auch der Asta angehört, Teach-ins und Diskussionen ab, druckt Flugblätter und organisiert Demonstrationen. Erstmals schließen sich Schulen und Betriebe dem Studentenprotest an.

Tagsüber wird auf dem Campus politisiert und auf den Straßen demonstriert, nachts steigen die Feten im mittlerweile ebenfalls besetzten Rektorat. Etwa ein Dutzend Studenten hat sich um den Schreibtisch von Rektor Walter Rüegg ein Nachtlager aufgeschlagen. Die »Besetzer« machen es sich mit Bier und Zigaretten gemütlich. Im Zimmer des Rektors stoßen die Studenten auf Talare. Unter großem Gelächter ziehen sich einige die Amtstracht an und imitieren die Professoren. Auch vor den Alkohol-Vorräten des Rektors machen die Studenten nicht Halt. Als die Besetzer eines Nachts Aktenschränke aufbrechen und Prüfungsakten durchwühlen, reißt dem Rektor der Geduldsfaden. Er holt die Polizei zu Hilfe und lässt die Universität nach zwei Wochen Besetzung räumen. Nicht alle Antiautoritären, wie sich die Aktivisten nennen, verstehen sich als bierernste Revolutionäre à la Rudi Dutschke. Sie versuchen mit ihren provokativen Aktionen zwar auch den autoritären Charakter des Staates bloßzustellen, wollen aber vor allem Spaß daran haben.

Die Vertreter der berüchtigten Kommune I oder die so genannten Provos gehören dazu. Gefürchteter Demonstrant ist der Kommunarde Fritz Teufel. Immer wenn er sich in der Stadt aufhält, ist im wahrsten Sinne des Wortes der Teufel los. Dies bekommt auch der Besitzer des gutbürgerlichen Café Laumer auf der Bockenheimer Landstraße, Helmut Rimbach, am Sonntag, 15. September 1968, zu spüren. Er hat den Zorn der Frankfurter Provokateure auf sich gezogen, weil er sich mehrmals weigerte, einige Jugendliche zu bedienen, die schäbig gekleidet ins Café gekommen waren. Nun wollen rund 150 »Provos« das Café stürmen - in ihrem Gefolge: Fritz Teufel.

Die Demonstranten versuchen mehrmals einzudringen - die herbeigerufene Polizei kann dies verhindern. Plötzlich fliegen Tortenstücke und Mohrenköpfe Rimbachscher Produktion auf die Polizisten. Den »Provos« ist es gelungen, diese, als Normalbürger »verkleidet«, aus dem Café zu schmuggeln. Der »Sprücheklopfer« Teufel, der sich auf dem Dach eines Schaukastens am Café niedergelassen hat, verhindert, dass die Situation in einer Schlägerei endet, schreibt der FR am folgenden Tag. Er bringt den Geschäftsführer Rimbach sogar dazu, ihm ein Glas Wasser und ein Stück Kuchen servieren zu lassen.

Die Verabschiedung der Notstandsgesetze am 30. Mai 1968 versetzt der Studentenbewegung einen herben Schlag. Die breite außerparlamentarische Opposition (APO) aus Verbänden und Initiativen fällt in sich zusammen. Die Studenten sind mit ihrem Protest wieder auf sich allein gestellt - längst ist aber auch bei ihnen die Luft raus. Ein harter Kern von Aktivisten bleibt übrig, die immer radikale Töne anschlagen.

Ihnen gelingt es an der Frankfurter Uni im Wintersemester 1968 / 69 erneut, einen Streik zu inszenieren. Diesmal richtet sich der Protest gegen die Autoritäten der Universität - auch gegen die eigenen, linken Professoren Habermas und Adorno, die »Büttel des autoritären Staates«, wie es in einem Flugblatt heißt. Um ihr Ziel, eine demokratische Universität, zu erreichen, besetzen einige Studenten das Soziologische Seminar und geben ihm den Namen »Spartakus Seminar«. Nachdem Adorno das Soziologische Seminar mit Hilfe der Polizei räumen lässt, kehrt noch lange keine Ruhe an der Universität ein. Mehrere Monate gärt es weiter an der Hochschule, bis 1970 der »revolutionäre Kampf« dort endgültig einschläft und sich in diverse kommunistische Gruppen und in die Hausbesetzer-Szene verlagert.

(FrankfurterRundschau vom 17. Januar 2001)
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URL: http://www.k-faktor.com/frankfurt/studentenprotest.htm | Letzte Änderung: 18.03.2005

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