Frankfurt ist von den beteiligten Kritikern der "Opernwelt"-Umfrage mit immerhin 34 Prozent der Stimmen zum "Opernhaus des Jahres" gewählt worden. Glückwunsch. Ganz ehrlich. Berlin, wo es drei Opernhäuser des Jahres geben könnte, hat es wieder nur zum "Ärgernis" gebracht. Ob das besser wird, nachdem dort gestern die ominöse "Opernreform" im Senat verabschiedet worden ist?
Frankfurt, der für seine desaströse Ballettpolitik und die Brutalokürzungen herunter geschriebene Phönix aus der Asche, und die mottigen Musiktheater der Hauptstadt als die jahrelangen Verlierer: Sind die einen wirklich so gut und die anderen so grottig? Natürlich nicht, aber Journalisten denken gern in Schubladen, vor allem Kritiker. Was mies gefunden wird, kriegt vom Rest der Meute die volle Dröhnung, was hoch geschrieben wird, kann sich erst mal in die Sonne legen. Bis zum Absturz.
Trendberichte vereinfachen und spitzen zu. Keiner der Kritiker (außer denen vor Ort) hat alle Opernpremieren gesehen. Der Reisekader kommt immerhin zu den wichtigsten. Sind die von angesagten Regisseuren, ist der neue Intendant ein Liebling der Branche, stimmt am Haus die Finanzierung einigermaßen, sind von sechs Premieren drei gut und liegt man noch verkehrgünstig - schwups ist man "Opernhaus des Jahres". Oftmals gewählt von einer Minderheit als kleinstem gemeinsamem Nenner.
So wie im meist leeren Leipzig unter Udo Zimmermann. Und seit einiger Zeit in Stuttgart unter Klaus Zehelein. Dass es da unter dem wenig geliebten Wolfgang Gönnenwein mit der Philip-Glass-Trilogie, Wilsons "Alkestis", Freyers "Freischütz" und einigen Berghaus-Inszenierungen schon gutes Musiktheater gegeben hat, hat eine kurzlebige Zeit längst vergessen. Ein Label zieht. Die Kritiker dürfen wieder hinfahren. Und "Opernhaus des Jahres" macht sich auf Briefbögen und als Plakat gut. Wie in Stuttgart. In den achtziger Jahren, als Klaus Zehelein Dramaturg in Frankfurt war, hätte er die reaktionäre "Opernwelt" sicher am liebsten in die Luft gesprengt, heute nimmt er deren Ehrentitel gern. Schließlich hat auch er gelernt, was Marketing ist und wie man sich bei den Geldgebern am Besten verkauft. Die Frankfurter Oper war im Jahr 1996 "Opernhaus des Jahres", weil Gerard Mortiers Dirigierkompagnon Sylvain Cambreling dort die gängigen Namen aus Brüssel und Salzburg installierte. Weil er kaum spielte, das Repertoiresystem weghaben wollte (und es einige Intrigen gab) hat ihm der Titel nichts genützt. Er ging. Seinen sich aus der sehr grauen Verwaltung herausarbeitenden Nachfolger Martin Steinhoff mochte niemand, besonders nicht die beiden großen Zeitungen vor Ort. Premieren rangierten da unter ferner liefen. Auch wenn sie gar nicht so schlecht waren.
Immerhin, Frankfurts Ruf war noch nicht so ramponiert, als dass nicht Brüssels ewiger zweiter Mann, Bernd Loebe, endlich dort den Intendantenabsprung gewagt hätte. Ein kluger, umsichtiger Pragmatiker. Der weiß, wie ein Haus funktioniert, wie man Stimmung macht, wie man besetzt, einen Spielplan mischt (WELT-Porträt v. 5.2). Das mögen auch die Kritiker, die den umtriebigen Reisescout schätzen. Und die jetzt - erleichtert, dass es nicht schon wieder Stuttgart werden muss - seine gelungene Mischung aus Raritäten (gut: Schreker "Der Schatzgräber"; weniger gut: Schuberts "Fierrabras"), Operetten-Abstürzen, Übernahmen, Trend-Regisseuren (Calixto Bieito mit einer mäßigen "Manon"), jungen Sängern honorierten. So muss es Bernd Loebe nichts stören, dass die am meisten gefeierte Premiere - Christof Nels Deutung der "Frau ohne Schatten" - der Planung seines Vorgängers entstammt. Der Trendbarometer weist nach oben.
Für die Frankfurter Oper ein Segen. Zumal sie mehr denn je, sparen muss, dass es quietscht. Noch schafft Loebe dort den Spagat, auch weil er persönlich Privatleute als Sponsoren gewinnen konnte. Aber wie lange?
(Die Welt vom 01.
Oktober 2003)
© WELT.de 1995 - 2003
URL: http://www.k-faktor.com/frankfurt/oper.htm | Letzte Änderung: 18.03.2005
cantors homepage - © Jürgen Klein 2002-2008 - Frankfurt am Main