Die Quantität des Frankfurter Kulturangebotes ist unumstritten. Wie sieht es aber mit der Qualität aus - wird die Stadt hier ihren eigenen hohen Ansprüchen gerecht? Diese Frage wird seit geraumer Zeit - oder besser: seitdem die Finanzierbarkeit von Kultur aufgrund leerer Kassen zunehmend kritisch hinterfragt wird - von der Politik, den Medien und den Kunstkritikern (oder denen, die sich dafür halten) kontrovers diskutiert.
Aus meiner ganz persönlichen Perspektive und im Rückblick auf etwas mehr als 10 Jahre "Kulturkonsum" kann ich die Frage mit einem großen "Ja!" und einem kleinen - aber zunehmend größer werdenden - "aber ..." beantworten.
Dana Caspersen in "EIDOS:TELOS" von William Forsythe
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D. Mentzos]
Den nachhaltigsten Eindruck hat dabei das Frankfurter Ballett unter William Forsythe hinterlassen. Seine Choreographien waren meine erste Begegnung mit modernem Tanztheater. Der sehr individuelle Stil der Stücke, gekennzeichnet durch eine intensive Körpersprache der Tänzer, häufig auch in Verbindung mit der akustischen Gestaltung durch Thom Willems, haben mich von Anfang an in ihren Bann gezogen. "Limb's Theorem", "Loss of Small Detail" oder "EIDOS:TELOS" sind mir so nachhaltig in Erinnerung geblieben.
Daß die Arbei von Forsythe auch größte internationale Wertschätzung erfährt, belegen häufige Gastspielreisen der Compagnie sowie zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen - wie zuletzt in 2002, als W. Forsythe und seine Ballett von der Zeitschrift "ballett international" in einer Kritikerumfrage zum "Ballett des Jahres" gekürt wurden.
Ballett in Frankfurt ist jedoch keine "Forsythe-Monokultur". Im Gegenteil - durch das hohe Niveau dieser Truppe wurde ein breites Publikumsinteresse für Ballett und modernes Tanztheater geweckt, welches wiederum die zahlreichen Gastspiele anderer namhafter Ensembles erst ermöglichte. Pina Bausch, das NDT, Saburo Teshigawara oder das Meryl Tankard Australian Dance Theatre haben mir so neue Sichtweisen eröffnet. Und betrachte ich vor diesem Hintergrund Forsythes Choreographien der letzten 3 oder 4 Jahre, stellte sich zuletzt immer öfter ein "Déjà-vu-Erlebnis" ein. So gesehen bietet seine Rückkehr in die Stadt nach einjähriger Abwesenheit auch die Chance zu einem Neuanfang.
Die Beurteilung der Frankfurter Oper fällt mir - im Vergleich zum Ballett - deutlich schwerer. Die meisten der von mir als herausragend wahrgenommenen Inszenierungen sind mit den Namen Sylvain Cambreling und Christoph Marthaler verbunden.
Cambreling war von 1993 bis 1997 Intendant und GMD der Oper Frankfurt, die unter seiner Leitung 1995/1996 auch zum "Opernhaus des Jahres" gekürt wurde. Darüber hinaus gebührt ihm auch der Verdienst, daß er den schweizer Schauspielregisseur Christoph Marthaler zum ersten mal dazu gebracht hat, auch Opern zu inszenieren.
Der Frankfurter "Don Giovanni" ist mir aufgrund seines wunderbar leichten und transparenten Klangbildes in bester Erinnerung geblieben. Debussys "Pelléas et Mélisande" (1994) habe ich gleich mehrfach besucht und die Gesamtwirkung war - ebenso wie die der drei Jahre später entstandenen "Fidelio"-Inszenierung - einfach grandios. Maßgeblichen Anteil daran hatte sicherlich Christoph Marthaler, der bei den zwei letztgenannten Opern die Regie führte. Die ebenfalls von der Kritik hochgelobte Inszenierung von Verdis "Luisa Miller" (1996), gleichfalls in Zusammenarbeit von Cambreling und Marthaler entstanden, gehört leider zu den Werken, die ich immer wieder verpaßt habe.
Auch unter der Leitung des neuen GMD Paolo Carignani, der im September 1999 die Nachfolge des kommissarischen Chefdirigenten Klauspeter Seibel antrat, hat die Oper Frankfurt im großen und ganzen ihr beachtliches Niveau beibehalten. Mit dazu beigetragen hat sicherlich die kluge Spielplangestaltung und die glückliche Hand bei der Auswahl der Regisseure durch den Intendanten Bernd Loebe, der die Geschicke des Hauses seit 2002 leitet. Den Höhepunkt der Saison 2004/2005 stellt für mich zweifellos Giuseppe Verdis Macbeth dar, eindrucksvoll inszeniert durch den Spanier Calixto Bieto, der die Handlung in das gläserne Foyer eines Bankhochhauses verlegt hat, und musikalisch beeindruckend klangschön in Szene gesetzt von Paolo Carignani.
Mit zahlreichen interessanten Neuinszenierungen wie:
1997/1998 | Boulevard Solitude (Henze) |
1999/2000 | Cardillac (Hindemith) - Die Wände (Adriana Hölszky) |
2000/2001 | Peter Grimes (Britten) - Die Eroberung Mexikos (Rihm) |
2001/2002 | Un re in ascolto (Berio) - Das verratene Meer (Rihm) |
2002/2003 | The Turn of the Screw (Britten) - Manon (Massenet) - Der Schatzgräber (Schreker) |
2003/2004 | Katja Kabanová (Janáček) - Mefistofele (Boito) - Der Kaiser von Atlantis (Ullmann) - Ariodante (Händel) |
2004/2005 | Jenufa (Janáček) - Chowanschtschina (Mussorgskij) - Curlew River (Britten) - Macbeth (Bloch) |
unterstreicht die Oper Frankfurt zudem seit Jahren konsequent ihr Bemühen, nicht im Einerlei des Mainstream-Repertoires unterzugehen, sondern eigenes Profil zu zeigen [9]. Ob dies dauerhaft gelingen wird, muß sich zeigen. Die Voraussetzungen dafür sind zumindest vorhanden und die erneute Auszeichnung als "Opernhaus des Jahres" für die Spielzeit 2002/2003 [10] ist Ansporn und Herausforderung zugleich.
Deutlich mehr Beachtung noch als die Frankfurter Oper findet - international gesehen - das Ensemble Modern. Dieses 1980 gegründete Solistenensemble hat sich auf zeitgenössische Musik spezialisiert und besitzt weltweit einen hervorragenden Ruf. Meinen eigenen Zugang zu "moderner" Musik habe ich hauptsächlich dem Ensemble Modern und seinen Konzerten, insbesondere auch der seit Anfang der 90er Jahre stattfindenden Reihe "Happy New Ears", zu verdanken. Nachhaltig beeindruckt hat mich unter anderem die erstmalige Begegnung mit Luigi Nonos (1924 - 1990) Streichquartett "Fragmente - Stille, An Diotima" in einer Aufführung mit Mitgliedern des Ensemble Modern (Alte Oper Frankfurt, 1997).
Das Orchester ist dem Frankfurter Musiker, Komponisten, Theatermacher und Regisseur Heiner Goebbels eng verbunden, dessen Werke es wiederholt mit großem Erfolg aufgeführt hat - zuletzt die Musiktheater Collage "Landschaft mit entfernten Verwandten". Und selbst mit dem Avantgardisten Frank Zappa hat das EM gemeinsame Projekte realisiert.
Herausragende Konzerte sind in Frankfurt natürlich nicht nur auf das Ensemble Modern beschränkt (zumal das Interesse der durchschnittlichen Konzertbesucher eher in Richtung "Mainstream" tendiert). Die meisten der internationalen "Top"-Orchester geben in der Stadt mehr oder weniger regelmäßig Gastspiele, und die Chancen stehen nicht schlecht, daß die Qualität des Gebotenen den hohen Eintrittspreisen entspricht. Persönliche Höhepunkte der letzten Jahre waren aus meiner Sicht beispielsweise der Beethoven Zyklus - eine Aufführung aller Beethoven Sinfonien mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra unter Simon Rattle (1995) sowie die "Hommage a Pierre Boulez" (1998) - eine Reihe von 6 Konzerten, gewidmet dem Dirigenten und Komponisten Boulez, unter anderem mit den Wiener Philharmonikern und dem Ensemble InterContemporain.
Das Schauspiel hat in Frankfurt - im Gegensatz zu Oper oder Ballett - schon traditionsgemäß einen eher schlechten Ruf. Nicht ganz unverschuldet, denn ständige Querelen und Grabenkriege sind sicher keine optimalen Voraussetzungen für künstlerische Höchstleistungen. Trotzdem - mit dem Regieduo Tom Kühnel und Robert Schuster, bis zum Jahreswechsel 2003 künstlerische Leiter des TAT (Theater am Turm), wurden einige interessante Projekte realisiert (z.B. "Faust" oder der "Ring des Nibelungen" als Puppenspiel). Leider ist mit der Schließung dieser Sparte am TAT das Schauspiel nahezu gänzlich unter die Räder kommen - für eine Stadt wie Frankfurt nicht nur bedauerlich sondern fast schon peinlich ...
URL: http://www.k-faktor.com/frankfurt/kultur3.htm | Letzte Änderung: 27.05.2005
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